Herzsutra

Das Herzsutra, in Japan bekannt als "Hannya Shingyo" (般若心経), ist einer der bekanntesten und am häufigsten rezitierten Texte im Mahayana-Buddhismus

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Das Prajnaparamita-Sutra oder Herzsutra, in Japan bekannt als "Hannya Shingyo" (般若心経), ist einer der bekanntesten und am häufigsten rezitierten Texte im Mahayana-Buddhismus und ist in Indien, China, Tibet, Japan, Korea, der Mongolei und Vietnam verbreitet. Es ist besonders im Zen-Buddhismus von zentraler Bedeutung. Viele Japaner kennen es oder haben zumindest davon gehört. In der japanischen Kultur nimmt das Herz-Sutra fast denselben Stellenwert ein wie das "Vaterunser"-Gebet im Christentum. Das Sutra ist sowohl kurz als auch tiefgreifend und enthält die Quintessenz der buddhistischen Lehren über die Leerheit. 

"Hannya" ist eine japanische Übersetzung des Sanskrit-Wortes "Prajna", das Weisheit bedeutet, insbesondere die Weisheit der Einsicht in die Leerheit. "Shingyo" bedeutet "Herz-Sutra". "Hannya Shingyo" kann also als "Das Herz-Sutra der Weisheit" übersetzt werden. 

Das Herz-Sutra ist etwa im 1. bis 3. Jahrhundert im Norden Indiens im Gebiet des Kushan-Reiches entstanden. In einer chinesischen Übersetzung verbreitete es sich in Japan, Korea und Vietnam. 

Im japanischen Zen wird das Hannya Shingyo oft rezitiert, sowohl in Klöstern als auch in Laienpraxiszentren. Zen legt großen Wert auf direkte Erfahrung jenseits von konzeptuellem Denken. Die Lehren des Herz-Sutra über die Leerheit stimmen mit der Zen-Betonung der direkten, unmittelbaren Erfahrung der Wirklichkeit überein, die jenseits von Worten und Konzepten liegt.

Das Herz-Sutra - die Quintessenz der buddhistischen Philosophie 

Das Sutra ist ein Dialog zwischen Avalokiteshvara, dem Bodhisattva des großen Mitgefühls, und dem Mönch Shariputra. In diesem Text erklärt Avalokiteshvara die zentrale Lehre der Leerheit, die besagt, dass alle Dinge und Phänomene nicht unabhängig und von sich aus existieren, sondern leer von einer inhärenten, festen Natur sind. Dies bedeutet nicht, dass Dinge nicht existieren, sondern dass sie in Abhängigkeit von anderen Bedingungen entstehen. 

Wenn man das Herz-Sutra zum ersten Mal liest, wundert man sich vielleicht, wie dieser Text, der hauptsächlich aus verneinenden Aussagen besteht, eine Quelle buddhistischer Weisheit sein kann. Die Antwort liegt im Verständnis der besonderen Rolle, die negative sprachliche Konstruktionen in buddhistischen Sutras spielen. Die buddhistische Lehre darauf ab, den Glauben an die Beständigkeit und Unveränderlichkeit der Realität zu befreien, sei es die Realität der äußeren Welt oder unserer eigenen inneren Welt. 

Gemäß der buddhistischen Lehre liegt die Quelle des Leidens in der menschlichen Tendenz, sich stark an die Vorstellung einer unveränderlichen Existenz des "Ich" sowie der umgebenden Welt zu klammern. Die Anhaftung an diese Vorstellungen führt zu Disharmonien in der Interaktion sowohl mit anderen Menschen als auch mit der Welt um uns herum. Da diese Tendenz tief im menschlichen Geist verwurzelt ist, kann nichts außer einer vollständigen Änderung der naiven Vorstellung eines unabhängig existierenden "Ich" und der Welt zu spiritueller Freiheit führen.

Der Inhalt des Herzsutra 

Es gibt mehrere Versionen des Herz-Sutra, die sich im Detail voneinander unterscheiden. Beispielsweise gibt es einen geringen Unterschied zwischen der tibetischen und der chinesischen Version. In der chinesischen Version beginnt der Text mit der Darstellung der Lehre über die Leerheit, während die tibetische Version einen kurzen einleitenden Abschnitt enthält, der die Umstände beschreibt, unter denen Buddha diese Lehre zum ersten Mal gab. Sowohl die tibetische als auch die chinesische Version präsentieren die Leerheit in einer "vierfachen" Darstellung, während in der japanischen Version von einer "sechsfachen Leere" die Rede ist. 

Eine ungefähre Übersetzung der chinesischen Version lautet wie folgt:

Der Bodhisattva Avalokiteshvara, während er die tiefe Prajnaparamita praktizierte, sah deutlich, dass alle fünf Skandhas leer sind und durch diese Erkenntnis überwand er alles Leiden und erreichte das andere Ufer. 

Shariputra! Das sinnlich Wahrgenommene ist nicht unterschiedlich von der Leere. Die Leere ist nicht unterschiedlich vom sinnlich Wahrgenommenen. Das sinnlich Wahrgenommene ist genau die Leere und die Leere ist genau das sinnlich Wahrgenommene. Dies gilt auch für die Gefühlsgesamtheit, Vorstellungen, bildenden Faktoren und Bewusstsein. 

Shariputra! Für alle Dharma ist die Leere ihr wesentliches Merkmal. Sie werden nicht geboren und vergehen nicht, sind nicht befleckt und nicht unbefleckt, nehmen nicht zu und nehmen nicht ab. Deshalb gibt es in der Leere keine Gesamtheit des sinnlich Wahrgenommenen, keine Gefühlsgesamtheit, Vorstellungen, bildenden Faktoren und Bewusstsein, keine Fähigkeiten des Sehens, Hörens, Riechens, Schmeckens, Tastens und geistigen Erkennens; es gibt nichts Sichtbares, Hörbares, Riechbares, Schmeckbares, Tastbares und es gibt keine Dharma; es gibt nichts von der Sphäre des visuellen Erkennens bis zur Sphäre des geistigen Erkennens. 

Es gibt kein Unwissen und kein Ende des Unwissens und so weiter bis zum Fehlen von Alter und Tod und zum Fehlen des Endes von Alter und Tod. Es gibt kein Leiden, keine Ursache des Leidens, keine Beendigung des Leidens und keinen Pfad, der zur Beendigung des Leidens führt. Es gibt keine Weisheit und keine Erlangung und nichts zu erlangen. 

Da sich die Bodhisattvas auf die Prajnaparamita stützen, haben sie keine Hindernisse in ihrem Geist. Und da sie keine Hindernisse haben, haben sie auch keine Angst. Sie sind jenseits aller Illusionen und erreichen das ultimative Nirvana. Alle Buddhas der drei Zeiten, durch ihre Abhängigkeit von der Prajnaparamita, haben das vollkommene und vollständige Erwachen erreicht. 

Deshalb sollst du wissen, dass die Prajnaparamita die große heilige Mantra ist, die Mantra des großen Erwachens, die höchste Mantra, die unvergleichliche Mantra, die mit wahrer Natur erfüllt und nicht vergeblich ist. Deshalb wird sie das Mantra der Prajnaparamita genannt. Das Mantra lautet: Gate, gate, paragate, parasamgate, bodhi, svaha!

Der Originaltext im alten (Sino-)Japanisch lautet:

觀自在菩薩は、深般若波羅蜜多を行ずる時、五蘊は皆空なりと照見して 一切の苦厄を度したまふ。 舎利子は、色は空に異ならず、空は色に異ならず。 色は即ち是れ空、空は即ち是れ色なり。 受、想、行、識も亦復是の如し。 舎利子よ、是の諸法は空の相にして、 生せず、滅せず、垢ならず、淨ならず、增さず、減らざるものなり。 是の故に、空の中には、色も無く、受・想・行・識も無く、 眼・耳・鼻・舌・身・意もなく、色・聲・香・味・觸・法も無く、 眼界もなく、乃至意識界も無く、 無明も無く、亦無明の盡くることも無く、 乃至老死も無く、亦老死の盡くることも無く、 苦・集・滅・道も無く、智も無く。 亦得も無し、無所得なるを以ての故なり。 菩提薩埵は般若波羅蜜多に依るが故に、心に罣礙無し。 罣礙無きが故に、恐怖有ること無く。 顚倒夢想を遠離して涅槃を究竟す。 三世の諸佛も、般若波羅蜜多に依りたまひしが故に、 阿耨多羅三藐三菩提を得たまへり。 故に知るべし、般若波羅蜜多は是れ大神咒なり。 是れ大明咒なり。是れ無上咒なり。是れ無等等咒なり。 能く一切の苦を除き、眞實にして虚ならず。 故に般若波羅蜜多の咒を説く。即ち咒を説いて曰く、 渇諦渇諦 波羅渇諦 波羅 僧渇諦 菩提 薩婆訶。

Und hier die lateinsiche Transkription des obigen Textes, die in der Regel von Zen-Praktizierenden im westlichen Raum nach der Zazen-Praxis rezitiert wird:

Maka Hannya Haramita Shingyo
Kan ji zai bo za tsu
Gyo jin han ya ha ra mi ta
Ji sho ken go on kai ku
Do i sai ku
Yaku sha ri shi
Shiki fu i ku
Ku fu i shiki
Shiki soku ze ku
Ku soku ze shiki
Ju so gyo shiki
Yaku bu nyo ze
Sha ri shi
Ze sho ho ku so
Fu sho fu metsu
Fu ku fu jo
Fu zo fu gen
Ze ko ku chu
Mu shiki mu ju so gyo shiki
Mu gen ni bi ze shin i
Mu shiki sho ko mi soku ho
Mu gen kai nai shi mu i shiki kai
Mu mu myo yaku mu mu myo jin
Nai shi mu ro shi yaku mu ro shi jin
Mu ku shu metsu do mu chi yaku mu toku i
Mu sho toku ko bo dai sa ta e
Han ya ha ra mi ta ko
Shin mu ke ge mu ke ge ko
Mu u ku fu on ri i sai ten do mu so ku gyo ne
Han san ze sho butso e
Han ya ha ra mi ta ko
Toku a noku ta ra san myaku san bo dai
Ko chi han ya ha ra mi ta
Ze dai jin shu ze dai myo shu
Ze mu jo shu ze mu to do shu
No jo i sai ku shin jitsu fu ko
Ko setsu han ya ha ra mi ta shu
Soku setsu shu watsu
Gya tei gya tei
Ha ra gya tei
Hara so gya tei
Bo ji so wa ka
Hannya Shingyo

Das Herzsutra in der japanischen Kalligraphie

 Das Kopieren von buddhistischen Texten, insbesondere des Hannya Shingyo, ist in der japanischen Tradition eine weit verbreitete Praxis, die tief mit dem Zen-Buddhismus und der Kunst der Kalligraphie verflochten ist. Diese Praxis wird "Shakyo" (写経) genannt, wobei "sha" (写) "schreiben" und "kyo" (経) "Sutra" bedeutet. 

Im Zen wird das Kopieren von Sutras nicht nur als eine Form der Verehrung gesehen, sondern auch als meditative Übung. Durch das achtsame Nachzeichnen jedes Kanji-Zeichens konzentriert sich der Praktizierende voll und ganz auf den gegenwärtigen Moment und vertieft sich in die Bedeutung des Textes. 

Traditionell wird Shakyo mit Pinsel und schwarzer Tinte auf speziellem Papier oder manchmal auf Seide durchgeführt. Der Praktizierende bereitet die Tinte, indem er einen Tintenstein mit Wasser reibt. Dieser Prozess des Tintenreibens kann bereits als meditative Übung betrachtet werden. Die Haltung des Pinsels, die Atmung und die Bewegungen sollten fließend und präsent sein. 

Vor dem Shakyo wird oft das jeweilige Sutra rezitiert oder ein Gebet gesprochen. Dies stellt eine rituelle Reinigung und eine geistige Ausrichtung auf die kommende Aufgabe dar. Nach dem Abschluss kann das kopierte Herzsutra in einem Tempel als Opfergabe dargebracht oder zu Hause aufbewahrt werden, um Segen zu bringen.

Gern wird auch die Meditationsnische zu Hause mit einer Hannya Shingyo Kalligraphie dekoriert, die nicht nur eine Atmosphäre der Ruhe schafft, sondern dem Raum auch eine ästhetische Tiefe verleiht.